
Der Morgen wird im Schatten geboren
Wenn Transfrauen sich treffen, gibt es immer etwas zu erzählen. Besonders dann, wenn sie im gleichen Krankenhaus zur fast gleichen Zeit auf einer Station waren. Da ich mehr als die anvisierten 14 Tage im Krankenhaus verbrachte, habe ich einige Transfrauen im “falschen” Körper kommen und im “richtigen” Körper gehen sehen. Einige habe ich aus den Augen verloren, aber zwei sind in Hör- und in Sichtweite geblieben.
In Offenbach haben wir uns auf ein Kaffee getroffen. Nach “wie geht es dir” und “was treibst du so” kam dann das Gespräch auf die Operationen und dem Ergebnis, was nun durch die Straßen schlendert, wo manch andere noch hin will, aber noch am Zaudern ist.
Im Großen und Ganzen sind beide zufrieden. Eine von ihnen hat mehr als 11000 Follower auf einer amerikanischen Netzwerk-Seite, ist das geborene Model im nun “richtigen” Körper und niemand sieht es ihr an, dass sie eine Transfrau ist, sie einst zur anderen Seite zählte. Die andere hadert noch mit dem Ergebnis der Operation, will noch eine Korrektur vornehmen lassen, da etwas mit der Harnröhre nicht so stimmt, wie es sein soll. Beide haben einen Partner oder so eine Art +-Freundschaftsgefühl. Sie sind keine Kinder von Traurigkeit, somit auch nicht asexual unterwegs.
Und dann beide mit fragenden Blicken zu mir: “Und du? Bist du zufrieden?”
Um die Frage zu beantworten:
“Kann nicht meckern.
“

Auch bei mir wurde das äußerliche Geschlecht der Seele, dem Geist angepasst. Sogar recht ansehnlich, so dass ich mich gerne im Spiegel betrachte. Es gibt zwar ein paar Kleinigkeiten wo ich dann denke, das müsste so und so sein, aber diese vorgebrachten “Unstimmigkeiten” “sind ja wohl nicht der Rede wert” so der Kommentar der Beiden. Auch sollte die Zeit noch eine Verbesserung des Ergebnisse im Brustbereich mit sich bringen – sagen die Transmänner, die sich mit dem Frau-Sein bestens auskennen.
Nach all den Operationen habe ich auch keine Lust mehr auf Schmerzen und dank SARS-CoV-2, findet derzeit auch keine Epilation im nahen Umfeld statt. Das kommt mir ganz gelegen, denn nach 30 Minuten Epilation war die Schmerzgrenze erreicht. Mehr war nie drin. Auch der Termin für das Stimmtraining musste wegfallen, als das Virus sich ausbreitete. Wird aber nachgeholt. Der Weg zu “perfekten” Frau hat schon einige Hürden aufzuweisen. Insofern: Es ist wie es ist. Die Östrogene können nicht die Wirkung von Testosteron, dass mich eine Lebenszeit formte, ausgleichen oder gar rückgängig machen.
Bestimmung in einer Scheinwelt

Wenn ich die Narben meines Körpers behutsam berühre, ihn eincreme, ihm vermittel, dass alles gut wird/ist, dann denke ich auch oft an das was mir widerfahren ist, was schmerzt, was auf der Seele Narben hinterlassen hat.
Transphobe Äußerungen sind fast schon Alltag, das anzweifeln des “Frau sein”, das “wertvoll sein” nur mit männlichen Geschlecht, das Wissen um das Sein ohne eine Hand halten zu können. Ich musste lernen, dass auch in der queeren Regenbogen-Welt der “respektvolle und behutsame Umgang” miteinander Wunschdenken, oftmals nur Worthülsen sind, die ein Bild vortäuschen, dass es vereinzelt gibt, aber nicht die Regel ist. Trotz anders lautender Beteuerungen und Vorsätze.
Ich habe das zuerst im Waldschlösschen zu spüren bekommen, als ich mich als Transfrau vorstellte und schwule Männerwelt die Augen verdrehte. Später auf eine mir bis dahin nicht bekannte Art in Kassel. Hier war ich nicht ganz ohne Schuld. Ich habe es nicht kommen sehen, es aber gespürt, doch die Signale meines Körpers mit dem Seeleschrei nicht deuten können. Dann die Geschichte in Hanau.
Es ist nicht gut in einer Scheinwelt zu verweilen, die auf einer Lüge aufgebaut ist, die nicht heilt, sondern den Schmerz noch vergrößert. Ich bin nicht mehr der Mensch, den es noch im Herbst 2017 in der Welt unter dem Regenbogen zu sehen gab, der stolz verkündet, ich bin stolz eine Transfrau zu sein. Ich bin nur noch ein Schatten dessen.
Ich bin anders geworden. Anders als zu Beginn des Weges gedacht, aber nun dort, wo ich wieder ICH sein kann – ohne mich zu verbiegen.
Ich habe mich in der Dunkelheit befreit von irgendwelchen Wertebilder die an mich gestellt wurden und noch werden, mit denen ich aufgewachsen bin, wenn der Begriff “Frau” fällt. Ich bin nicht mehr der Mensch der verblendet in den Regenbogen schaut – voller Erwartung, Hoffnung und neugierig.
Ich bin nicht die Frau die sich zu anfangs des Weges zeigte. Ich passe nicht in das heteronormative Wertebild namens Frau, will mich diesem auch NICHT anpassen. Ich habe ein Bartschatten, eine tiefere Stimme und trage mein Verständnis meines Geschlechts in die weite Welt, weswegen “Frau / Herr” fehl am Platz ist. Mit dem Pronom “sie” darf von Amtswegen die Frau gereicht werden.
Ob die Gesellschaft damit klar kommt? Hier und da schon.
Aber ist das wichtig? Nein, nicht mehr.
Das Schattenkind wird eine Heimat finden
In einem stillen Moment der inneren Einkehr, irgendwo im Habichtswald bei Kassel, im Schatten eines alten Baumes, tauchten zwei Zeilen der Vergangenheit auf:
Der Morgen wird im Schatten geboren,
und die Liebe ist der Schatten der dich reifen lässt.
Mein Jetzt ist in der Dunkelheit des Spätfrühjahr 2018 geboren worden. Der schmerzhafte Weg war lang und ist noch nicht zu Ende. Oft fiel ich, aber irgendwas war immer dann da, weswegen ich wieder aufstand und weiter ging. Oftmals sind es nur Kleinigkeiten, Gedankenfetzen aus der Vergangenheit, kaum der Rede wert, in dem Moment aber die reichende Hand. Das Unscheinbare als Geschenk erkennen und annehmen. Eine Gabe, die nicht nur im Schatten gut behütet werden will.
Mein Körper, den ich noch nie als “falsch” empfand, wurde durch ärztliche Eingriffe dem Seelengeist angepasst. Er ist nun ein wenig anders als zu Geburtszeiten, was meiner Seele gut tut.
Und der Rest?
Der Rest passt wie immer prima in diese Welt, in der der Regenbogen längst nicht mehr in den schimmernden Farben zu sehen ist. Vielleicht müsste ich aber auch nur einen Schritt nach links oder rechts machen, den Standort ein wenig verändern.
Um zum Anfang zurückzukommen: Ich bin so gesehen das “hässliche Entlein” von uns drei. Sie sind auf ihre Art wundervolle Frauen, so wie man sich aufblühende Frauen vorstellt. Verrückt im Kopf und der Männerwelt den Kopf verdrehen wollen. Nun planen sie auf Weltreise zu gehen. Sie wollen trampen. Haben sie sich zumindest so ausgedacht.
Derweil lausche ich im Mondlicht dem Lied des Schattenbaums. Hat ja auch was.

