Geschichten in einem Band
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Geschichten aus 1000 und zwei Nächten

Geschichten und Märchen gehen meist gut bzw. glimpflich für die Betroffenen aus, obwohl vieles vom Inhalt her dagegen spricht. Das liegt in unserem Naturell begründet. Um die Erde zu retten, reiten schon mal verwegene Retter auf einem Asteroiden herum oder finden den versteckten Knopf, der alle Überwachungssatelliten im Nichts explodieren lässt. Die Krönung aller Rettungsmaßnahmen ließ den Apple-Mythos in Amerika entstehen, der sich in aller Welt verbreitete. Ohne Steve Jobs wären wir schon längst Vergangenheit und »Apple« nur ein Plattenlabel in einer Geschichte aus der Vault-Datenbank.

1000 Nächte und zwei Geschichten

Aber unter uns:
… das war ein Windows-Virus. Und jene Viren starten nur getarnt als Fensterputzer auf einem von Bill Gates erschaffenem System.
War voll der Fake. Oder schon mal im Jahre 1996 von einem Apple-Virus gelesen, gar gehört? Stimmt ja. Geburtsbedingt waren viele noch gar nicht im Netz unterwegs, obwohl gerne gegenteiliges beteuert wird. Ich aber schon. Sogar mit einem Mac. Aber vielleicht hat den Special-Virus eine Zeitschrift als Beigabe kostenlos zur Monatsausgabe auf einer Diskette beigelegt. Oder zum Jahresarchiv? Man weiß so wenig.

Zurück zu den Geschichten.

Die Welt der Märchen

Von einem Kuss im Dornengestrüpp wach geküsst zu werden, liest sich schöner, als dass der Prinz aufgespießt im mannshohen Dornengestrüpp blutend seinem Tod entgegensieht. Davon träumt auch jedes Aschenputtel. Hoffmanns Erzählungen um abgeschnittene Daumen, auf Nimmerwiedersehen weggewehte Jungs und abgefackelten Mädels, sorgen hier und da schon für Schluckauf. Ganz zu schweigen von den Gräueltaten der zu Schrotkörnern gemahlenen Lausbuben bei Busch. Die Auswirkungen der daraus entstehenden Alpträume der Kinder und Heranwachsende sind noch gar nicht erfasst worden. Und wenn Kinder als Erwachsene anfangen, Geschichten zu erzählen …

 

Von der postapokalyptischen Erzählung zu den queeren Grimms

Oder warum gibt es »Freitag der 13.« oder »Muttertag«? Obwohl heutzutage Körperfresser allen Ortes unterwegs sind, nicht nur in Netflix, stellt sich die Frage: Warum gibt es keinen würdigen Nachfolger von Hannibal Lecter (Anthony Hopkins), der wie kein anderer den Seelenfresser verkörpert?

Oder jene Begebenheit: Man befindet sich an einem Ort, der dem Ödland in Fallout gleicht. Kein Mensch weit und breit. Eine bedrohliche Schwere liegt auf der Welt. Man verspürt bohrende Blicke auf seinem Rücken. Hilfe herbeirufen, so ein Gedanke. Das Smartphone hat nur aber noch wenig Energie und reicht nur noch für einen Anruf. Die Verbindung scheint auf dem verrottetem Turm in der Ferne vielversprechend zu sein.

Fallout (Oedland)
Postapokalyptische Erzählung

Vergiss es, denn die einzige Person, die du anrufen kannst, wird den Anruf nicht entgegennehmen. Der Anrufbeantworter wird dein Gesprächspartner sein, wie so viele Male zuvor auch.

Wie diese Episode wohl ausgehen wird? (aus: „Geschichten, die die Nacht schreibt“)

Das ist eben lebende Erzählkunst. Nicht so platt wie: Wind kommt, alle werden zu Körperfresser und nur ein Mensch hat das rettende Gen in sich. Aber es gibt auch hier und da eine Gegenbewegung. Sogar in Hanau. Zwar nicht postapokalyptisch, dafür queer, mit lesbischem Zungenschlag.

Die queeren Grimms

Es ist zu vernehmen, dass aus weiblicher Feder der He­ro­en­kult der Grimms kurzerhand umgeschrieben wurde. Diese neuzeitlichen Erzählungen sind 2022 als Lesung in Hanau zu hören. Braucht Rotkäppchen einen Jäger? Oder Dornröschen einen Prinzen? Natürlich nicht. Queeres gibt es nicht nur aus Sookees Feder, sondern auch von Renate Neumann und Marie L. Braun, Mitbegründerinnen des LSKH in Frankfurt.

Wie diese Geschichten nun ausgehen werden, welche Wandlungen die Hauptdarsteller:innen in den Märchen der Grimms nehmen, kann dann vor Ort erlauscht werden. Den Autorinnen saß am Ende kein Mäzen im Rücken, der dies und das nicht lesen oder auch umgeschrieben haben wollte. Bei den Grimms hingegen schon. Sie hatten aber, wie die allwissende Müllhalde, viele großzügige Gönner:innen und so kam es, dass sie noch heute gelesen werden. Brav und im binären Wortgewand.

Titelbild: pixabay